Süddeutsche Zeitung, 18.07.2003

George W. Bush ist ein Nachfahre von Karl dem Großen

Krönen wir ihn doch in Aachen zum Kaiser: Der amerikanische Schriftsteller Gore Vidal nimmt zu aktuellen Perspektiven der amerikanischen Politik Stellung

 

 

Seit seinem ersten Roman „Williwaw", der 1946 erschien, gehört der 1925 geborene Gore Vidal zu den führenden amerikanischen Romanciers der Gegenwart. Ein Hauptthema seines schriftstellerischen Schaffens war die amerikanische Geschichte, die er in mehreren großen Romanen aufarbeitete. Außerdem war Gore Vidal als Drehbuchautor („Ben Hur") sehr erfolgreich. Er wurde aber auch für sein politisches Engagement bekannt, das er immer wieder mit scharfer Kritik an der aktuellen Politik der USA unter Beweis stellte. Dafür stehen auch seine beiden letzten Bücher ein: „Ewiger Krieg für Ewigen Frieden. Wie Amerika den Hass erntet, den es gesät hat" (2002) und „Bocksgesang. Antworten auf Fragen vor und nach dem 11. September" (2003). Die SZ sprach mit Gore Vidal an dessen Wohnort in Ravello, Italien.

SZ: Die USA und Großbritannien haben gegen den Irak Krieg geführt mit Begründungen, deren Stichhaltigkeit jetzt zunehmend angezweifelt werden.

Vidal: Ich habe mich vehement gegen diesen Krieg ausgesprochen, dessen einziger Grund die irakischen Ölreserven sind. Ähnlich war es bereits in Afghanistan, wo wir wegen einer Pipeline in den Krieg zogen. Präsident Bush aber schwadroniert immer davon, dass es nur darum ginge, diesen Ländern und Völkern Freiheit, Frieden und Demokratie zu bringen. Das ist nicht ohne Ironie, denn die Amerikaner haben weder Freiheit noch Demokratie. Der Begriff „Demokratie" kommt weder in der Verfassung der Vereinigten Staaten noch in der Unabhängigkeitserklärung vor. Wir sind vielmehr eine kalte, steinerne calvinistische Republik, die dem antiken römischen Vorbild nachgebildet ist. Selbstverständlich haben wir Wahlen in Amerika, die sogar sehr viel kosten, was zur Folge hat, dass derjenige, der das meiste Geld ausgeben kann, diese in aller Regel auch gewinnt. Aber die Wähler haben keinerlei Einfluss auf die Regierung der Vereinigten Staaten. Jetzt lässt es sich diese Regierung angelegen sein, auf der ganzen Welt Völker von schlechten Regierungen zu befreien. Wer wird aber uns befreien? Ich warte auf die Afghanen, auf die Iraker, auf die Iraner. Vielleicht warte ich sogar auf die Deutschen, um die Vereinigten Staaten zu befreien.

SZ: Eine seltsame Vorstellung, dass ausgerechnet am deutschen Wesen die USA genesen sollten, auch wenn von Bismarck die Maxime stammt, die einem jetzt einzuleuchten beginnt: „Wehe dem Staatsmann, der sich (zuvor) nicht nach einem Grund zum Kriege umsieht, der auch nach dem Krieg noch stichhaltig ist." Das beschreibt doch die Verlegenheit, in die Bush jetzt zu geraten droht.

Vidal: Naja, in der amerikanischen Politik ist es zum einen unüblich, die Wahrheit zusagen. Zum anderen: Wenn er tatsächlich gesagt hätte, wir greifen Irak an, weil dieses Land die zweitgrößten Ölreserven der Welt besitzt, dann ließe sich das kaum mit dem Anspruch vereinbaren, demzufolge eine große Demokratie jedermann Freiheit und Glück verschaffen will. Deshalb galt es, Vorwände zu finden. Je größer eine Lüge ist, desto mehr Leute werden ihr auch glauben.

SZ: Ein solcher Zynismus scheint mir aber der amerikanischen Geschichte ziemlich fremd zu sein.

Vidal: In der Geschichte eines jeden Landes lassen sich dafür Beispiele finden. Im Fall der USA ist dieses Beispiel der Krieg gegen Mexiko von 1846, weil wir Kalifornien annektieren wollten. Unser bedeutendster General, Ulysses S. Grant, schrieb in seinen Memoiren: „Ich habe immer gedacht, dass der (amerikanische) Bürgerkrieg das Urteil war, das Gott über die USA verhängte für das, was wir einer uns weit unterlegenen Macht wie Mexiko angetan haben".

SZ: Kann man im Fall des Irak-Kriegs aber so weit gehen und vermuten, dass der Beschluss, diesen Krieg zu führen, feststand, und dass die Geheimdienste, also die CIA, lediglich die passenden Argumente liefern musste, um ihn zu rechtfertigen?

Vidal: Das ist doch die Regel. Die Geheimdienste sind nur dafür da, um einem zu sagen, was man hören will. Bush wollte den Krieg wegen des Öls. Sie aber müssen wissen, dass es eigentlich Vizepräsident Cheney ist, der die Regierungsgeschäfte in Washington leitet. Cheney stammt wie alle, die in der gegenwärtigen Regierung eine einflussreiche Rolle spielen, aus dem Ölbusiness. Wir dürfen uns aber nicht unterstehen, in diesem Zusammenhang von einer Verschwörung zu sprechen. Es handelt sich dabei nur um eine Koinzidenz, um einen bloßen Zufall.

SZ: Für Zufälle gibt es in der Tat keine zurechenbaren, keine überprüfbaren Gründe...

Vidal: Nun ja, vielleicht doch, insofern sie möglicherweise alle ein Interesse daran haben, dass die Unternehmen, denen sie angehören, Geld verdienen. Cheney ließ etwa einen Regierungsbericht aus arbeiten, wie lange die bekannten Öl- und Erdgasreserven auf der Welt noch ausreichen werden, um einen steigenden Bedarf zu befriedigen. Im Jahr 2020 ist voraussichtlich alles verbraucht. Deshalb fiel die Entscheidung, dass das Ziel der Politik sein müsse, diese Reserven irgendwie zu kontrollieren, von denen die meisten in Eurasien liegen. Da haben Sie den Entwurf für die Politik, deren Zeuge wir augenblicklich sind.

SZ: Darauf scheint aber, zieht man die bisherigen Ergebnisse dieser Politik in Afghanistan oder in Irak in Betracht, kein rechter Segen zu ruhen.

Vidal: In der Tat spricht sehr viel dafür, dass wir hier in einen Morast geraten sind, und ich vermag nicht zu sagen, wie wir da wieder rauskommen. Wir werden Afghanistan niemals wirklich befrieden können und es wird uns auch kaum gelingen, Irak jemals zu einem funktionierenden Land zu machen. Unser eigenes Land löst sich mehr und mehr auf. Jeden Tag stürzt eine Brücke in den USA ein und es ist kein Geld vorhanden, eine neue Brücke zu bauen. Eines Tages werden wir keine Brücken mehr haben, aber sehr viele Soldaten in anderen Ländern.

SZ: In Europa war man sehr verblüfft darüber, dass die amerikanische Öffentlichkeit und insbesondere die amerikanischen Medien den Irak-Krieg so einhellig befürworteten. Kritische Stimmen waren kaum zu vernehmen.

Vidal: Das zeigt Ihnen nur, dass wir binnen kürzester Zeit eine Meisterschaft in Sachen Homeland Security, also Heimatschutz, erreicht haben. Heimatschutz ist tatsächlich eine Nazi-Vokabel. „Homeland" war in den USA bislang als Begriff völlig ungebräuchlich. Wir sprachen vom Land, von der Nation oder vom Volk. Jetzt aber sagen wir homeland, und fast kann einen darüber der Verdacht anwandeln, dass wir einen nur zu vertrauten Weg eingeschlagen haben.

SZ: Präsident Bush sagte bei seiner Afrikareise in Bezug auf das amerikanische Engagement in Irak: Wir werden Kurs halten. Was meint er damit, denn Sie sagten ja, dort lauere ein Morast.

Vidal: Ich zweifele, ob er weiß, was ein Morast ist. Wahrscheinlich lebt und handelt er in der Überzeugung, die Eroberung der Welt sei die Aufgabe seiner Präsidentschaft. Wir, die Vereinigten Staaten, müssen die Kontrolle über jedes Land haben. Diesem Ziel jagte schon manche Administration hinterher, das ist keineswegs Bush nur eigentümlich. Franklin Delano Roosevelt hatte den Einfall mit der Nato, um die Europäer vor den Russen zu schützen. Roosevelt wusste es und jeder General wusste es auch, dass die Russen nirgendwo angreifen würden, was sie im übrigen ja auch nicht taten. Sie haben es nur gewagt, kleine Pufferstaaten wie die Tschechoslowakei zu besetzen, um uns zu ärgern, aber sie haben nie versucht, nach Paris zu gelangen, geschweige den Ozean zu überqueren. Wir gründeten die Nato, um ganz Westeuropa unter unsere militärische Kontrolle zu bringen. Wir gründeten die CIA, um zu verhindern, dass irgendein Land durch eine Wahl nach links abdriftete. Damit hatten wir großen Erfolg.

SZ: Der Irak-Krieg hat die Beziehungen zwischen einer Reihe von europäischen Staaten und den USA sehr strapaziert. Glauben Sie, dass diese gegenseitige Entfremdung noch größer werden oder dass Europa in absehbarer Zeit gar eine eigenständige Rolle wird spielen können?

Vidal: Ich kann nicht sehen, dass Europa mit einer Stimme sprechen wird. Ich glaube auch nicht, dass es je eine eigenständige Rolle spielen wird. Die Vorschläge, die Giscard d’Estaing für eine europäische Verfassung ausgearbeitet wurden, taugen allesamt nichts. Er hätte besser die amerikanische Verfassung studieren sollen, denn die ist ganz ausgezeichnet, auch wenn sie jetzt mehr und mehr außer Kraft gesetzt wird, um den Terrorismus zu bekämpfen, der angeblich überall ist und unseren guten Bürgern den Schlaf raubt. Indem wir die US-Bürger derart in Furcht und Schrecken halten, können wir ihnen die verbrieften Freiheitsrechte nehmen. Hinsichtlich der Freiheit haben die europäischen Staaten wenig zu bieten, aber wenigstens haben sie hier Regierungen, die den Rechtsstaat respektieren und einen relativ liberalen way of life garantieren. Ich vermag auch nicht zu erkennen, warum Europa und die Vereinigten Staaten viel miteinander zu tun haben sollten. Wäre ich Bundeskanzler oder französischer Staatspräsident, würde ich vermutlich die Amerikaner auffordern, mein Land zu verlassen. Dass wir Europa vor dem Kommunismus schützen, das verfängt jetzt nicht mehr. Auch die Freiheit Europas müssen wir nicht mehr verteidigen. Bliebe als Rechtfertigung nur, die politischen Zustände in Europa grundsätzlich zu ändern, indem wir für uns in Anspruch nähmen, dass wir in Bush einen Nachfahren von Karl dem Großen haben, den wir in Aachen zum Kaiser krönen.

Interview: Johannes Willms